Unser Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe von ECONO
- 09-03-2023In den vergangenen Wochen fielen zwei Pressemeldungen ins Auge: Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) meldete, die EU brauche eine „Agentur für strategische Rohstoffe“, um die Rohstoffsicherheit entlang von Wertschöpfungsketten zu sichern. Eine Woche später veröffentlichte die KFW-Bank eine Studie mit der These: Deutschland stehe vor einer „Ära desschrumpfenden Wohlstands“. Zwei Gründe wurden genannt: der Fachkräftemangels und „drohende Konflikte um knappe Ressourcen“. Damit bricht sich eine Entwicklung sichtbar Bahn, die Studien schon lange Zeit prognostizieren. Multiple globale Krisen haben volatile Preisschwankungen in den vergangenen Jahren ausgelöst. Sie lassen sich als Vorgriff auf eine langfristige Entwicklung verstehen, die auf den Rohstoffmärkten droht. Auch die Europäische Union hat das Thema Kreislaufwirtschaft auf ihre Agenda gesetzt. Die EU-Taxonomie und der voraussichtlich wiederbelebte Zertifikate- Handel erhöhen zudem die Gefahr, dass „Stranded Assets“ entstehen. Und: Sie beleben die Debatte, wie zukunftsfähige Immobilien beschaffen sein müssen.
In ESG-konformen Immobilien finden sich Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in den Bereichen Environemt (E), Social (S) und Governance (G) wieder, allerdings in unterschiedlichen Gewichtungen. Wer aber zirkuläre Strategie umsetzen will, wird schnell merken, wie komplex und sektorübergreifend die Handlungsfelder sind.
Hinzu kommt: Die Veränderungen sind sehr grundlegend, mit denen die Wirtschaft konfrontiert wird.
Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel. Unser lineares Wirtschaftsmodell stößt an seine Grenzen! Der Übergang zur echten Kreislaufwirtschaft ist die Grundlage für ein regeneratives Wirtschaftssystem, das tief in fest etablierte Strukturen eingreift - und unsere Art radikal verändert, wie wir mit begrenzten Ressourcen unseres Planeten umgehen.
Der Gebäudesektor spielt in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Er ist für über 30 Prozent der globalen CO2- Emissionen verantwortlich, verursacht über 50 Prozent des Müllaufkommens und verbraucht über 90 Prozent der mineralischen Ressourcen. Deshalb ist der Handlungsdruck beim Bau und Betrieb von Gebäuden enorm. Genauso gilt aber: Der Hebel ist aus demselben Grund besonders groß, um Emissionen und Rohstoffverbrauch zu vermindern.
Der Gebäudesektor ist jedoch eine träge Branche. In der Regel ist viel Kapital lange Zeit gebunden, wodurch sich die Bereitschaft in Grenzen hält, neue Wege zu gehen. Zudem sind Pfadabhängigkeiten groß, und die Beharrungskräfte können stark sein, an etablierten Strategien festzuhalten. Eher die Ausnahme sind heute ganzheitliche Kostenbetrachtungen, die den Lebenszyklus bis zum Rückbau betrachten. Und CO2-Folgekosten werden bisher nicht bzw. unzureichend eingepreist, sondern einfach der Gesellschaft
aufgebürdet. Die Kreislaufwirtschaft hat viele Facetten. Es geht um einen erhaltenden Umgang mit Rohstoffen und die Verwendung regenerativer Energie, aber auch um Sharing- und Leasingkonzepte. Im Gebäudesektor spielt zudem der Bestandserhalt und die aktive Reintegration von Sekundärbaustoffen eine große Rolle. Das heißt: Baustoffe befinden sich bereits in unserer bebauten Umwelt und werden einer Weiter- und Wiederverwendung zugeführt. Wer aber primäre Baustoffe auf einer Baustelle einsetzt, wird auch mit der Tatsache konfrontiert, dass CO2-Emissionen bei der Erzeugung und beim Bau in direktem Zusammenhang mit der Ressourcenfrage stehen. Nachwachsende Baustoffe spielen dabei eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein Gebäude mehr ist als die bloße Addition seiner Materialien. Bauteile müssen so gefügt sein, dass ein sortenreiner, zerstörungsfreier Rückbau der verbauten Baustoffe bzw. Bauelemente möglich ist. Nur so wird ein Gebäude zu einem Ressourcenlager: Die verwendeten Baustoffe behalten dauerhaft Ihren Wert und stehen in Zukunft dem Markt wieder zur Verfügung.
Beispiel aus der Praxis: In Brühl bei Heidelberg wurde ein Wohnquartier in Holzbauweise entwickelt. Unser Architekturbüro bekam den Auftrag, ein Mehrfamilienhaus zu planen. Auftraggeberin ist die Stiftung Schönau, größte körperschaftliche Waldbesitzerin in Baden-Württemberg. Außerdem sind in ihrem Eigentum rund 900 Wohn- und Gewerbeeinheiten. Dieses Projekt umfasst vier Wohnhäuser, entworfen von vier verschiedenen Architekten. Damit will die Stiftung ihr wohnungsbauliches Engagement in der Metropolregion Rhein-Neckar verstärken. Besonders legt die Auftraggeberin Wert auf Nachhaltigkeit und den geringen Einsatz von Energie und Ressourcen. Das betrifft besonders die „Graue Energie“ der Baustoffproduktion, sowie die Betriebs- und Recyclingphase. Dabei stehen hoher Wohnkomfort und Nutzerfreundlichkeit in gemischten Wohnungstypen im Vordergrund. Teil des Projektes ist es, eine wissenschaftliche Langzeitbetrachtung der verschiedenen Holzbauweisen und Energiekonzepte durchzuführen. Damit leistet die Stiftung einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz – und ist gleichzeitig Vorreiterin für modernes und nachhaltiges Bauen in der Region. Bei dem viergeschossigen Mehrfamilienhaus rückten wir zwei wesentliche Parameter zirkulärer Wertschöpfung in den
Mittelpunkt: Zum einen wurde Holz aus dem Bestand der Auftraggeberin als einstoffliche Bauelemente verwendet, und zwar in einer sortenreinen und rückbaubaren Konstruktionsweise. Zum anderen untersuchten wir alternative Außenwandaufbauten, um direkte, passive, solare Wärmegewinne
zu nutzen. Die zehn Wohneinheiten wurden aus diesem Grund in einer massiven Holzbauweise errichtet, wobei nicht verleimte Brettsperrholzwände und Brettstapeldecken
Verwendung fanden. Die Hölzer stammen zum großen Teil aus dem stiftungseigenen regionalen Forstbetrieb, wodurch eine regionale Wertschöpfungskette entstanden ist. Davor wird eine Profilglasfassade montiert, die als Bewitterungsschicht und aktiver Energiespeicher fungiert. Im Winter dient die erwärmte Luft als eine Art Wärmedämmung; im Sommer kühlt die zirkulierende Luft die Wandoberfläche ab. Dieses Fassadenprinzip kommt dadurch ohne eine klassische Wärmedämmung aus und hält trotzdem alle Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) ein. Die mit Holzschrauben befestigten Holzoberflächen der nicht verleimten Außenwände bleiben hinter der Profilbauglasfassade sichtbar. Die konsequent ganzheitliche Entwicklung des Gebäudes in einem integralen Planungsprozess führt dazu, dass sich wesentliche Gebäudeelemente langfristig in stofflichen Kreisläufen halten lassen, statt bei Um- oder Rückbau Müll zu verursachen und dadurch Ressourcen zu vernichten. Die leimfreie Bauweise ermöglicht es, diese Bauelemente perspektivisch ohne Schadstoffe in den biologischen Kreislauf zurückzuführen. Die Profilglasfasssade lässt sich als Bauelementweiterverwenden bzw. als Material vollständig recyceln. Über eine Ökobilanz lassen sich die CO2-Impacts bzw. das in der Konstruktion eingespeicherte CO2 quantifizieren. Diese Informationen könnten bei einem Gebäuderessourcenpass eine entsprechende Förderung gewährleisten, das wird gerade auf Bundesebene diskutiert. Der Wert der verbauten Materialien lässt
sich über digitale Schnittstellen zur BIM-Planung ausweisen („Building Information Modeling“). Diese Angaben geben wichtige Hinweise, wie eine Immobilie langfristig monetär zu bewerten ist. Bei einer konsequenten Umsetzung zirkulärer Konstruktionsprinzipien können so Mehrwerte für Bestandshalter entstehen. Gebäude werden zu „Materialbanken“: Statt weiter Teil des Problems zu sein, werden sie zum Teil der Lösung!